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  • AutorenbildRahel Baer

fahrradweg durch die stadt

Aktualisiert: 3. Aug. 2022


Der Stoff der Jeans vollkommen nass durchtränkt, radelt sie durch die Strassenschluchten.

Ein Mann sitzt auf dem schwarzen Rollator, wartend.

Die glasig-grauen Augen starren in die Leere, müder Blick. Er hat schon viel gesehen.

Regen macht ihm nichts aus, sein Béret trägt er stolz mit leicht gebeugter Haltung.

Da kommt der Bus mit seinen sich automatisch öffnenden Türen. Niemand hilft ihm, als er einsteigen will.

Der Sattel ist nass, das dunkle Kunstleder aufgequollen, ein paar dünne Risse bewirken schon, dass der ganze Schaumstoff vor Nässe trieft. Leise Spuren der Verwüstung, eine nicht intakte Oberfläche. «scratching on the surface» als eine Metapher unserer skurrilen Zeit.

Sie fährt mit dem Fahrrad durch die Stadt, ein kalter Wind bläst ihr entgegen. An den Autos schlängelt sie sich vorbei, an den rotleuchtenden Gefährten mit leise heulenden Motoren, lautlos qualmend aus dem Auspuff. Subtiles Gasaustreten in die Atmosphäre, klammheimlichstille Luftverschmutzung, Andocken von Kohlenstoffdioxidmolekülen ist ein Prozess ohne Lärm. Hört und sieht man es nicht, existiert es auch nicht. Hier, unter dem Deckmantel des Lächelns. Wenn es regnet, trauen sich die Leute nicht mit kleinen Schirmen auf die Strasse. Lieber im Stau stecken als sich der Säure des ätzenden Regens auszusetzen.

Raue Hände umklammern die gummierte Fassung des Fahrradlenkers. Ein Organ der Witterung ausgesetzt, aber es ist ihr egal.

wave, hairdesign und dann eine coiffiteria. Eine Mischung zwischen Edelfriseur und Bar-Schrägstrich-Café. Stundenlang geglättete Haare werden draussen innerhalb von fünf Minuten kraus. Viel Zeit in Nichts investiert.

Ein Mädchen springt in die sich bildenden dreckigen Wasserlachen. «Stopp jetzt», sagt die Mama, die sich vehement gegen das Helikopterpräfix wehrt, «sonst werden deine Strumpfhosen fleckig.» An der Hand gezerrt dem Gleichschritt angepasst.

«for a brighter future» steht auf dem Plakat. Endzeitstimmung kommt vor allem im düsteren Cyberpunk-Genre für Post-Millenial-Jugendliche vor, sonst wird sie gekonnt den raren Verschwörungstheoretiker:innen zugeschrieben. Ab und zu eine kleine Pandemie, um die Angst vor Biowaffen real zu halten. Da sind sie wieder, die chem trails. Versteckt euch in dem unterirdischen Bunkerlabyrinth der Schweiz, ein Paradies für Überlebenskünstler:innen.

Sie schreien sich an. Können wir bitte von etwas anderem reden als über abgewiesene Flüchtende, die sich mit ihren schmerzverzerrten Gesichtern in Frachtschiften mit Aufschriften wie «esperanza» über den Ozean gehangelt haben? Die bestenfalls mit ihrem Körper, aber nicht mit ihrer Identität das schwankende Festland erreichen? Da sind doch noch zukunftsweisende Studierende, die sich mit Gender-Thematik in acht Semestern beschäftigen, Reste ihres buckwheat-cranberry-salad aus einem recycelten Glas verzehren. Jetzt im Regen stehen, aber nicht wirklich, weil sie bei dunklen Nächten in ihren kuschligen Betten liegen.

Etwas weiter mit dem Fahrrad, die Bremsen fest im Griff, die Stiefel sicher ins Pedal gedrückt. Die Tramgleise sind jetzt sehr rutschig. Schnell ist der Reifen mit der Einbuchtung verkeilt und man fliegt auf die Strasse. Es muss nicht spektakulär aussehen, um mit dem Kopf an die Bordsteinkante zu schlagen und sich die Schädeldecke zu zertrümmern. Und schon ist das Gehirn an den Knochen geprallt, innere Blutungen überschwemmen das Fettgewebe, Liquor klebt am menschlichen Kalk. Das Ego fliesst aus dem Leib.

Dasjenige Körperteil, welches den Menschen als Menschen definiert- weg. Selbstzuschreibung, das Gefühl eines Bewusstseins – weg.

Aber sie gibt acht, hält beim Fussgängerstreifen kurz an und radelt sicher weiter. Die Kappe tief ins Gesicht gezogen, aber gerade noch so, dass sie sehen kann, was sie muss.

Ein eingeschränktes Blickfeld im Überlebensmodus. Scheuklappen vor den Augen.




Thumbnail-Fotografie: Sarah Preiswerk





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